Erleidet ein Patient infolge einer nicht erkannten septischen Coxitis eine dezentrierte Hüftkopfnekrose mit Chondrolyse des linken Hüftkopfes und ist dadurch in seiner Beweglichkeit erheblich eingeschränkt, ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000 € angemessen. Das geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe hervor.

50.000 € Schmerzensgeld bei Hüftkopfnekrose infolge einer septischen Coxitis

Der Fall
Die Klägerin, ein damals sechsjähriges Mädchen, litt im Oktober 2013 zwei Tage unter Schmerzen in der Hüfte, Erbrechen, Appetitlosigkeit und Antriebslosigkeit. Sie konnte das Bein nicht richtig bewegen und hatte 39 Grad Fieber, obwohl sie fiebersenkendes Nurofen einnahm. Gemeinsam mit ihren Eltern stellte sie sich am 07.10.2013 bei einer kinderärztlichen Gemeinschaftspraxis vor. Eine Kinderärztin untersuchte die Klägerin und diagnostizierte eine vorübergehende, keimfreie Entzündung des Hüftgelenkes (Hüftschnupfen) und entließ das Kind nach Hause. Die Eltern sollten mit der Klägerin in zwei Tagen oder im Falle einer Befundverschlechterung wieder in der Praxis vorstellig werden. In der Folge trat keine Besserung ein, sondern das Kind entwickelte – trotz weiterer ärztlicher Behandlung in einer Klinik – eine entzündungsbedingte Hüftkopfnekrose/Hüftgelenksnekrose. Dadurch wurde die Hüfte so stark geschädigt, dass das Kind auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

Die Klägerin warf der Kinderärztin einen Befunderhebungsfehler vor und verklagte sie deshalb auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 70.000 € sowie Schadenersatz. Sie argumentierte, dass die Kinderärztin es fehlerhaft unterlassen habe, Befunde zu erheben. Sie hätte die Klägerin nicht ohne weitere Untersuchungen nach Hause schicken dürfen. Die Kinderärztin entgegnete, ihr sei lediglich ein entschuldbarer Diagnosefehler unterlaufen. Sie habe eine falsche Diagnose gestellt, was ihr nicht vorzuwerfen sei. Die Eltern hätten das Kind zu spät in einer Klinik vorgestellt und damit den Schaden selbst (mit)verursacht.

Die Entscheidung
Das Gericht folgte der Argumentation der Kinderärztin nicht, sondern gab der Klage nach Anhörung der medizinischen Sachverständigen statt. Im Streitfall lägen die Voraussetzungen eines Befunderhebungsfehlers vor. Die Kinderärztin habe es sorgfaltswidrig unterlassen, hinreichend der Frage nachzugehen, ob bei der Klägerin die Differenzialdiagnose einer septischen Arthritis des Hüftgelenks zu stellen war und die dann gebotenen Befunde rechtzeitig vollständig zu erheben bzw. die Einweisung in eine Klinik zur weiteren Befunderhebung zu veranlassen. Diese nicht rechtzeitige Befunderhebung stelle einen Befunderhebungsfehler dar.         

OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.05.2018, Az.: 7 U 32/17

Fazit
Bestellt ein Arzt einen Patienten mit starken Hüftschmerzen und Fieber nicht wieder zur Durchführung einer medizinisch gebotenen weiteren Diagnostik ein, kann dies einen haftungsbegründenden Befunderhebungsfehler darstellen. Es handelt sich dann nicht nur um einen bloßen Verstoß gegen die therapeutische Sicherungsaufklärung oder einen nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum. Die nicht rechtzeitige Befunderhebung stellt vielmehr einen Befunderhebungsfehler dar.

Diagnoseirrtum setzt Befunderhebung voraus
Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden. Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt eine vorwerfbare Fehlinterpretation erhobener Befunde voraus. Bei einer objektiv fehlerhaften Diagnose sind drei Gruppen zu unterscheiden:

1. Es kann sich um einen nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum handeln, der keinerlei Haftung begründet. Dieser liegt vor, wenn ein Arzt – gemessen an dem Facharztstandard seines Fachbereichs – die gebotenen Befunde erhoben und vertretbar gedeutet hat.

2. Ist die Diagnose hingegen nicht bzw. nicht mehr vertretbar, liegt ein vorwerfbarer Diagnosefehler im Sinne eines einfachen Behandlungsfehlers vor. 

3. Ein grober Diagnosefehler ist gegeben, wenn die Diagnose nicht nur unvertretbar, sondern schlechterdings unverständlich ist.

Hinweis
Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird. Im Unterschied dazu liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereiches gebotenen – therapeutischen oder diagnostischen – Maßnahmen ergreift. Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen (BGH, Urteil vom 26.01.2016, Az.: VI ZR 146/14).