Eine nicht ordnungsgemäß aufgeklärte Patientin, bei der sich im Verlauf einer therapiebegleitenden Heparinbehandlung schmerzhafte Hämatome gebildet haben, hat nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen die behandelnde Klinik, wenn sie der (fehlerfrei durchgeführten) Behandlung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zugestimmt hätte.

Klinik haftet trotz Aufklärungsmangels nicht für Komplikationen nach Heparinbehandlung

Der Fall
Die 57-jährige Klägerin litt an einer Entzündung des peripheren Nervensystems (Plexusneuritis) und erhielt in einem Krankenhaus – begleitend zu einer stationären Cortisontherapie – durch Injektionen verabreichtes Heparin. Im Zuge dieser Behandlung bildeten sich bei ihr Hämatome im Bereich der Rektusscheide und im Beckenbereich. Ersteres wurde bei einem Bauchschnitt festgestellt, mit dem zunehmend schmerzhafte Beschwerden der Klägerin abgeklärt werden sollten, letzteres durch ein MRT. Die Klägerin verklagte das Krankenhaus in der Folge auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 €. Sie begründete die Klage mit dem Argument, dass die Heparinbehandlung nicht indiziert gewesen sei und durchgeführt worden sei, ohne sie ordnungsgemäß aufzuklären.

Die Entscheidung
Die Klage blieb erfolglos. Der Umstand, dass die Klägerin im Streitfall nicht über die mit einer Heparinbehandlung verbundenen Risiken aufgeklärt worden sei, begründe keine Haftung des Krankenhauses, so das Gericht. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin der Heparinbehandlung auch bei Vornahme der gebotenen Aufklärung zugestimmt hätte (hypothetische Einwilligung). Die Voraussetzungen der hypothetischen Einwilligung habe zwar der behandelnde Arzt zu beweisen. Der Patient müsse jedoch in den Fällen, in denen die Ablehnung der Behandlung medizinisch unvernünftig gewesen wäre, plausible Gründe darlegen und das Gericht davon überzeugen, dass er sich in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte. Letzteres sei der Klägerin nicht gelungen. In ihrem Fall sei eine Ablehnung der Heparingabe bei objektiver Betrachtung medizinisch unvernünftig gewesen. Nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen habe die Cortisontherapie bei der Klägerin mit einer Heparinbehandlung begleitet werden müssen, um den mit der Cortisongabe verbundenen schwerwiegenden Risiken von Thrombosen und Embolien entgegenzuwirken. Zur Durchführung der Cortisontherapie sei die Klägerin stark motiviert gewesen, weil sie infolge der Nervenentzündung unter erheblichen Beschwerden gelitten habe und drohende bleibende Nervenschäden vermieden werden sollten. Demgegenüber seien die Risiken der Heparingabe, über die die Klägerin aufzuklären gewesen wäre, vergleichsweise gering gewesen. Diese bestünden in Verhärtungen, Hämatomen, Verletzung von Hautnerven beim Einstich und einer allergischen Reaktion. Über das Risiko eines Rektusscheidenhämatoms sei regelmäßig nicht aufzuklären, weil es extrem selten sei und in aller Regel folgenlos ausheile.

Bei der Klägerin sei zudem zu berücksichtigen, dass sie bereits 2006 im beklagten Krankenhaus ohne erhebliche Komplikationen mit Heparin behandelt worden sei und dieser Versorgung vertraut habe, was dafürspreche, dass sie die Behandlung auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung akzeptiert hätte. Ärztliche Fehler bei der Indikation und der Verabreichung des Heparins sowie bei der Behandlung der sich anschließenden Komplikationen der Klägerin habe der Sachverständige nicht feststellen können.

Fazit
Jeder ärztliche Heileingriff stellt eine (vorsätzliche) Körperverletzungshandlung dar und bedarf deshalb grundsätzlich der Einwilligung des Patienten, um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann aber nur dann wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen informiert worden ist. Dies setzt eine diagnostisch abgesicherte Aufklärung durch den Arzt voraus, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen muss. Liegt aufgrund eines Aufklärungsmangels keine ausdrückliche Einwilligung des Patienten vor, so  ist der ärztliche Heileingriff dennoch gerechtfertigt, wenn der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Behandlung eingewilligt hätte (hypothetische Einwilligung).

Hypothetische Einwilligung „heilt“ Aufklärungsmangel
Die hypothetische Einwilligung ist ein von der Rechtsprechung im Bereich der zivilrechtlichen Arzthaftung entwickeltes Haftungskorrektiv für Aufklärungsfehler bei Heilbehandlungen. Sie dient dazu, die ärztlichen Haftungsrisiken im Bereich der Körperverletzungsdelikte einzudämmen, wenn ein ärztlicher Heileingriff zwar de lege artis, aber ohne hinreichende Aufklärung und damit ohne wirksame Einwilligung des Patienten durchgeführt wurde. In einem solchen Fall rechtfertigt die Annahme der hypothetischen Einwilligung durch den Patienten das (Fehl-)Verhalten des Arztes.

Wichtiger Hinweis
Im Zivilprozess trägt der Arzt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Patient hypothetisch auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte. So prüfen die Gerichte Die rechtlichen Hürden für die Annahme einer hypothetischen Einwilligung sind hoch. Die Zivilgerichte bejahen eine hypothetische Einwilligung in der Regel nur dann, wenn der Patient in seiner Berufung auf einen Aufklärungsmangel als Haftungsgrund offensichtlich missbräuchlich handelt. Zwar gilt die hypothetische Einwilligung im Zivilprozess als beachtlicher Verfahrenseinwand. Die hohen zivilprozessualen Beweisanforderungen sorgen aber dafür, dass beklagten Ärzten nur in wenigen Fällen der Nachweis einer solchen hypothetischen Einwilligung gelingt. Als Maßstab für die Prüfung des Gerichts, ob eine hypothetische Einwilligung des Patienten in Betracht kommt, dient folgender Fragenkatalog:

  • Bestehen glaubhafte Indizien dafür, dass der Patient im Fall der wahrheitsgemäßen Aufklärung keine andere Entscheidung getroffen, er also aufgrund Alternativlosigkeit oder aus anderen persönlichen Überlegungen heraus dennoch in den Eingriff eingewilligt hätte?
  • Gibt es umgekehrt Indizien, die darauf hinweisen, dass sich der Patient im Fall einer korrekten Aufklärung in einem ernsthaften Entscheidungskonflikt befunden hätte, bei dem angesichts der Prädisposition und der individuellen Präferenzen des Patienten nicht ausgeschlossen ist, dass er den Eingriff abgelehnt hätte?
  • Hat der Patient wenigstens eine Grundaufklärung über den Eingriff erhalten?