Arzthaftung – Kinderärztin haftet nicht für halbseitige Lähmungen bei einem Säugling

Halbseitige Lähmungen (linksseitige Hemiparese) eines Säuglings, die aus einem perinatalen Hirnschaden resultieren, müssen für den behandelnden Kinderarzt im ersten Lebensjahr nicht erkennbar sein. In diesem Zeitraum kann nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm auch eine Schädigung des noch unreifen Gehirns ein unspezifisches Erscheinungsbild aufweisen und muss für den Kinderarzt nicht sichtbar in Erscheinung treten.

Schmerzensgeldklage scheitert an Darlegungs- und Beweislast

Der Fall
Der Kläger wurde im November 2005 geboren. Seine Eltern ließen ihn im ersten Lebensjahr von einer Kinderärztin behandeln. Die Medizinerin führte u. a. die Vorsorgeuntersuchungen U 3, U 4 und U 5 durch. Eine Hemiparese diagnostizierte sie dabei nicht. Eine Hemiparese und den die Lähmungen hervorrufenden Hirnschaden wurden erstmals im Oktober 2006 ärztlich festgestellt. Die Eltern meinten, dass ihr Kind im Falle einer früheren Diagnose nebst Therapie besser hätte behandelt werden können und ein geringeres Maß an Behinderungen erlitten hätte. Dementsprechend forderten die Eltern im Namen des Klägers von der Kinderärztin die Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld in der Größenordnung von 100.000 € sowie ab dem siebten Lebensmonat eine monatliche Schmerzensgeldrente von 300 € und eine monatliche Mehrbedarfsrente von rund 1.100 €.

Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach Meinung des Gerichts könne nach Anhörung eines medizinischen Sachverständigen keine fehlerhafte Behandlung der beklagten Ärztin gegenüber dem Kläger festgestellt werden. Die Klagepartei habe nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen können, dass die Symptomatik einer aus einem Hirnschaden resultierenden Hemiparese für die Medizinerin erkennbar gewesen bzw. von ihr aufgrund unzureichender Untersuchungsmethoden verkannt worden sei. Bei einem Neugeborenen reife das zentrale Nervensystem langsam über Monate. Erst im Verlauf dieser Entwicklung funktionierten die entsprechenden Nervenbahnen. In diesem Zeitraum könne deswegen auch eine Schädigung des noch unreifen Gehirns ein unspezifisches Erscheinungsbild aufweisen und müsse für den Kinderarzt nicht sichtbar in Erscheinung treten. Bis zu einer Untersuchung des Klägers im Juli 2006 sei die Ärztin von den Eltern auch nicht auf motorische Auffälligkeiten hingewiesen worden. Bewiesen sei ebenfalls nicht, dass ein früherer Einsatz der beim Kläger im Oktober 2006 begonnenen Physiotherapie einen verbesserten Zustand des Klägers hätte herbeiführen können (OLG Hamm, Urteil vom 11.03.2013, Az.: 3 U 162/12).

Fazit
Ein Patient, der sich im Rahmen einer Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage auf eine Fehlbehandlung durch einen Arzt beruft, unterliegt der sogenannten Darlegungs- und Beweislast. Danach ist er verpflichtet, dem Mediziner den Behandlungsfehler nachzuweisen. Darüber hinaus muss der Patient beweisen, dass dieser Behandlungsfehler kausal für den erlittenen Schaden war. Das ist der Fall, wenn der Arzt durch seine fehlerhafte Behandlung die Beeinträchtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verursacht hat. Es dürfen keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass der Schaden auf dem Fehlverhalten des Mediziners beruht.

Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt bei der Behandlung vom medizinischen Standard ungerechtfertigt abweicht und durch sein nach dem Stande der Medizin unsachgemäßes Verhalten (Tun oder Unterlassen) den Patienten schädigt. Erfolg im Zivilprozess steht und fällt mit Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess ist nicht selten prozessentscheidend. Als Darlegungslast wird im Rahmen eines Zivilprozesses die Pflicht des Klägers bezeichnet, die anspruchsbegründenden Tatsachen vorzutragen. Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, verliert er den Prozess, ohne dass der Beklagte sich zum Sachverhalt äußern muss. Die Beweislast verpflichtet die Parteien im Zivilprozess, die Tatsachen zu beweisen, aus denen sie das Bestehen von Rechten (oder den Wegfall eines Rechtes des Gegners) herleiten, d. h. der Kläger muss das Vorliegen der rechtsentstehenden und rechtserhaltenden Tatsachen, der Beklagte das Vorhandensein der rechtshindernden, rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatsachen beweisen.

In einem Arzthaftungsprozess muss der Patient folglich darlegen und beweisen, dass

– dem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen ist,
– der Arzt diesen Fehler zu verantworten hat,
– er als Patient einen Schaden erlitten hat und
– der Behandlungsfehler die Ursache für den erlittenen Schaden war. 

Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler gesetzlich verankert 

Am 26.02.2013 trat das Kraft Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten/Patientenrechtegesetz (PatRG) in Kraft. Darin sind nun u. a. die von der Rechtsprechung entwickelten Beweislastregelungen normiert. Danach wird ein Behandlungsfehler vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Körpers oder insbesondere der Gesundheit geführt hat. Bei einem groben Behandlungsfehler, der grundsätzlich geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für den Eintritt des Schadens ursächlich war. Ein grober Behandlungsfehler setzt nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, sondern erfordert auch die Feststellung, dass ein Fehler vorliegt, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, Urteil vom 19.06.2001, Az.: VI ZR 286/00). Nimmt das Gericht einen solchen groben Behandlungsfehler an, so kehrt sich die Beweislast zugunsten des Patienten gemäß des neu eingefügten § 630 h Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) um. Es wird nunmehr gesetzlich vermutet, dass der beim Patienten eingetretene Schaden auf den Fehler des Arztes zurückzuführen ist. Der Arzt muss nun seinerseits beweisen, dass dem nicht so ist.