Ein Arzt darf laut einem Urteil des Sozialgerichts (SG) München auf die Fortsetzung einer über Jahre andauernden fehlerhaften Abrechnungspraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) vertrauen. 

Vertrauensschutz nach jahrelanger fehlerhafter Abrechnungspraxis 

Der Fall
Eine Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie ist als Oberärztin an einem Klinikum tätig. Sie verfügt seit 2012 über eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Bereich Neuropädiatrie. Seitdem hat sie regelmäßig einzelne Patienten über 18 Jahren, die unter einer schweren Mehrfachbehinderung leiden und deren Entwicklungsstand dem eines Kleinkindes entspricht, behandelt und gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abgerechnet. Die KV wusste, dass die Medizinerin Patienten über 18 Jahre behandelt und bezahlte die entsprechenden Leistungen.

Mit Bescheid vom 18.11.2014 setzte die KV das Honorar der Ärztin für das zweite Quartal 2014 in Höhe von rund 22.000 € fest. Mit Richtigstellungsbescheid vom gleichen Tag stellte die KV die Abrechnung der Medizinerin für das zweite Quartal 2014 sachlich und rechnerisch richtig und setzte die Leistungen von 13 Behandlungsfällen (die Kosten der Behandlungen beliefen sich auf rund 1.000 €) ab, weil diese wegen des Umfangs der Ermächtigung nicht abgerechnet werden könnten, weil die Ärztin nur Kinder, nicht aber Erwachsene behandeln dürfe. Dagegen klagte die Medizinerin.

Die Entscheidung
Mit Erfolg. Das Gericht gab der Ärztin Recht und verpflichtete die KV, die Kosten der Behandlungen in Höhe von rund 1.000 € nachzuzahlen. Zwar habe die Ärztin die erwachsenen Patienten unzweifelhaft außerhalb ihrer Fachgebietsbezeichnung Kinder- und Jugendmedizin behandelt. Für solche Leistungen könne grundsätzlich kein Honorar verlangt werden. Im Streitfall habe die KV die unberechtigte Leistungserbringung der Fachärztin und deren Vergütung jedoch über einen Zeitraum von neun Quartalen (2012 – 2014) wissentlich geduldet. Die Kenntnis der unberechtigten Leistungserbringung ergebe sich aus den Abrechnungen der Klägerin sowie dem E-Mail-Schriftverkehr der Parteien. Die Fachärztin habe auf die Fortsetzung der jahrelangen Abrechnungspraxis der KV im streitgegenständlichen Quartal vertraut und auch vertrauen dürfen. Dieses Vertrauen stehe vorliegend der sachlich-rechnerischen Richtigstellung durch die KV entgegen                          

SG München, Urteil vom 11.12.2017, AZ.: S 28 KA 615/15

Fazit
Genauso wie Vertragsärzte dürfen auch ermächtigte Klinikärzte nicht in ihr Fachgebiet fallende Leistungen grundsätzlich nicht abrechnen. Erfolgte in der Vergangenheit jedoch über einen längeren Zeitraum eine wissentliche Duldung einer unberechtigten Leistungserbringung und deren Vergütung, so steht das darauf gestützte Vertrauen der Richtigstellung aufgrund mangelnder Abrechnungsgenehmigung entgegen. Auf einen solchen Vertrauensschutz kann sich ein Arzt gegenüber der KV aber nur in Ausnahmefällen berufen. Grundvoraussetzung ist, dass die KV wissentlich unberechtigte Leistungen des Arztes über längere Zeit geduldet und vergütet hat. Eine länger andauernde Verwaltungspraxis allein genügt hierfür nicht.