Weil er einen Patienten unvollständig und nicht ausführlich genug über die echte Alternative einer konservativen Behandlung aufgeklärt hat, muss ein Belegarzt tief in die Tasche greifen. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschieden. Bestehe nur eine relative Indikation zur Vornahme eines operativen Eingriffs, müsse ein Patient dezidiert mündlich über die echte Alternative einer konservativen Behandlung aufgeklärt werden. Hierzu gehöre u. a. auch eine Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun.
Missglückte Rücken-OP: Unzureichende Aufklärung kommt Belegarzt teuer zu stehen
Der Fall
Ein Patient litt seit Ende der 1980er Jahre an Rückenschmerzen. Im Juli 2010 stellte er sich wegen therapieresistenter Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich in einem Krankenhaus vor. Ein Belegarzt führte nach einigen Tagen stationären Aufenthalts mit einer konservativen Behandlung nach einem erstellten CT ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten, indem er zu einer operativen Versorgung des verengten Wirbelkanals der Lendenwirbelsäule riet. Im August 2010 führte der Belegarzt den operativen Eingriff mit einer Discektomie, einer Dekompression, einer Neurolyse sowie einer Spondylodese aus. Nach der Operation stellten sich in beiden Beinen des Patienten neurologische Ausfälle ein. Er konnte das gestreckte Bein nicht mehr anheben. Außerdem zeigten sich Lähmungen beim Heben und Senken der Füße, eine Blasenentleerungsstörung sowie eine Störung der Sexualfunktion. Nach zwei Revisionsoperationen verbesserte sich der Gesundheitszustand nicht nachhaltig.
Der Patient leidet dauerhaft am Kauda-Syndrom mit Gefühlsstörungen im Bereich der Beine und Füße sowie Schmerzen im Operationsbereich. Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen und kann nur kurze Strecken mit Gehilfen zurücklegen. Er muss außerdem mit einer dauerhaften Störung der Sexualfunktion und einer sich aufgrund der eingeschränkten Mobilität und chronischen Beschwerden entwickelnden depressiven Störung leben. Zwischenzeitlich hat sich eine nach der Operation aufgetretene Blasenentleerungsstörung zurückgebildet. Der Patient verlangte von dem ihn behandelnden Belegarzt Schadenersatz in Höhe von rund 34.500 € und ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 200.000 €. Er behauptete, der operative Eingriff sei behandlungs- und aufklärungsfehlerhaft vorgenommen worden.
Die Entscheidung
Nach ergänzender Begutachtung durch medizinische Sachverständige sprach das OLG Hamm dem Patienten Schadenersatz in der geforderten Höhe sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 75.000 € zu. Die Begründung lautete, dass der Belegarzt hafte, weil er den Kläger vor dem ersten Eingriff im August 2010 unzureichend aufgeklärt habe.
Mangels neurologischer Ausfallerscheinungen beim Kläger habe für den vorgenommenen operativen Eingriff nur eine relative Indikation bestanden. Die konservative Behandlung habe alternativ als echte Behandlungsalternative fortgesetzt werden können. Hierüber habe der Mediziner den Kläger aufklären müssen. Die Wahl der Behandlungsmethode sei nach der Rechtsprechung zwar primär Sache des Arztes. Gebe es jedoch wie hier mehrere Behandlungsmöglichkeiten, unter denen der Patient eine echte Wahlmöglichkeit habe, müsse ihm durch eine entsprechend vollständige Aufklärung die Entscheidung überlassen werden, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen solle und auf welches Risiko er sich einlassen wolle (OLG Hamm, Urteil vom 15.12.2017, Az.: 26 U 3/14).
Fazit
Das Maß und der Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht sind umso weitgehender, je weniger dringlich sich der Eingriff – nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht – in zeitlicher und sachlicher Hinsicht darstellt. Besteht nur eine relative Indikation zur Vornahme eines operativen Eingriffs, muss ein Patient vom behandelnden Arzt folglich dezidiert mündlich über die echte Alternative einer konservativen Behandlung aufgeklärt werden. Dazu gehört u. a. auch eine Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun.
So erfüllen Mediziner ihre Aufklärungspflichten
Die in § 630e BGB verankerte Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten gehört zu den wesentlichen Pflichten eines Arztes. Danach ist der behandelnde Mediziner verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu zählen vor allem Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Sofern mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können, ist bei der Aufklärung auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen.
Die Aufklärung muss
- mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,
- so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,
- für den Patienten verständlich sein.
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