Der Fall
Die 1986 geborene Patientin ließ sich über mehrere Jahre bis März 2002 von ihrer Hausärztin behandeln. Sie litt seinerzeit unter einer krankhaften Fettsucht und einem Nikotinmissbrauch. Im September 2001 stellte die Hausärztin einen deutlich erhöhten Blutdruck bei ihr fest und wies sie und ihre Mutter auf eine notwendige Blutdruckkontrolle hin. Nachdem die Medizinerin im November erfahren hatte, dass die Patientin, bei der wiederum erhöhte Blutdruckwerte vorlagen, aufgrund von Kreislaufproblemen viermal bewusstlos geworden war, stellte sie eine Überweisung zum Internisten bzw. Kardiologen zur weiteren Diagnostik einer sekundären Hypertonie aus. Zudem bot sie erneut regelmäßige Blutdruckkontrollen an, die die Patientin in den folgenden Wochen nicht wahrnahm. Die Blut- und Nierenwerte untersuchte die Hausärztin während dieser Zeit nicht.

Nach der Behandlung durch ihre Hausärztin wurden bei der Patientin beiderseitige Schrumpfnieren diagnostiziert. In den folgenden Jahren unterzog sie sich 53 Operationen, u. a. zweier erfolgloser Nierentransplantationen. Sie wurde dialysepflichtig. Mit der Begründung, sie sei von ihrer Hausärztin unzureichend untersucht worden, sodass ihr Nierenleiden zu spät entdeckt worden sei, forderte die Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 €.

Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Das Gericht bejahte eine Haftung der Medizinerin aufgrund mehrerer Befunderhebungsfehler. Sie habe nicht genug unternommen, um die Ursache für den Bluthochdruck der Patientin abzuklären. Bereits der im September 2001 gemessene Blutdruck sei ein krankhafter Befund gewesen, der durch weitere regelmäßige Blutdruckmessungen habe abgeklärt werden müssen. Wenn es insoweit zu keiner Rückmeldung der Patientin gekommen sei, habe der damals 15-jährigen Patientin und ihren Eltern die hohe Dringlichkeit der weiteren Abklärung verdeutlicht werden müssen.

Der Hausärztin sei zudem vorzuwerfen, dass sie nach der Vorstellung der Patientin im November 2001 eine weiterführende Diagnostik nicht stärker vorangetrieben oder selbst durchgeführt habe. Mehrfache Bewusstlosigkeiten und wiederholt erhöhte Blutdruckwerte hätten – trotz der weiteren Risikofaktoren der Patientin – im Hinblick auf eine sekundäre Hypertonie zwingend weiter abgeklärt werden müssen. Hierzu hätte es weiterer Blutdruckwerte bedurft, die seinerzeit nicht vorgelegen hätten. Bei dieser Situation habe die bloße Überweisung zum Kardiologen ohne zwischenzeitliche eigenständige Diagnostik nicht ausgereicht. Aus fachärztlicher Sicht eines Allgemeinmediziners sei sogar eine stationäre Abklärung erforderlich gewesen. Dieses habe wiederum der Patientin und ihren Eltern verdeutlicht werden müssen.

Dass die Medizinerin bei der Situation im November diese elementar gebotenen diagnostischen Maßnahmen unterlassen habe, sei als grober Behandlungsfehler zu bewerten.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei zugunsten der Patientin davon auszugehen, dass ihre späteren Beeinträchtigungen auf die von der Ärztin zu vertretende zeitliche Verzögerung bei der Feststellung und Behandlung der Grunderkrankung zurückzuführen seien. Bei einer früheren Diagnose der Nierenerkrankung hätte eine – wenn auch geringe – Chance auf eine vollständige Heilung bestanden (OLG Hamm, Urteil vom 03.07.2015, Az.: 26 U 104/14).

Fazit
Wird bei einer jugendlichen Patientin (15 Jahre) die Ursache eines erhöhten Blutdrucks (160/100) nicht abgeklärt, ist der Hausärztin ein Befunderhebungsfehler zur Last zu legen. Kommen weitere Alarmzeichen – mehrfache Bewusstlosigkeiten – hinzu, ist die mangelnde Befunderhebung als grober Behandlungsfehler der Hausärztin zu werten. Für den Verlust beider Nieren, der Dialysepflicht und 53 Folgeoperationen – darunter erfolglose Nierentransplantation – ist bei einer jugendlichen Patientin ein Schmerzensgeld von 200.000 € angemessen.

Wichtiger Hinweis
Ein grober Befunderhebungsfehler ist ein Fehler, bei dem eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wird und der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. 

Praxis-Tipp
Für den Fall, dass sich ein Patient – wie im Eingangsfall – nur wenig kooperativ zeigt, sollten niedergelassene Ärzte ihr Personal anweisen, den Patienten anzurufen und ihn auf das Erfordernis weiterer Untersuchungen hinzuweisen sowie ihm eindringlich die etwaigen Folgen einer Nichtbeachtung vor Augen zu führen (z. B. bleibender Nierenschaden). Das Telefonat muss sodann in der Praxissoftware vermerkt und zusätzlich eine mit Datum und Unterschrift versehene Gesprächsnotiz zur Behandlungsakte genommen werden. Darüber hinaus sollte eine einwöchige Wiedervorlagefrist notiert werden. Verpufft auch dieser Versuch erfolglos, muss der Arzt den Patienten persönlich anschreiben. Ein solches Vorgehen ist zwar zeit- und arbeitsaufwändig, aber unverzichtbar, um sich im Ernstfall erfolgreich von einer Haftung exkulpieren zu können. 

Unser Tipp: Jedem Arzt können Behandlungsfehler unterlaufen. Wir sind alle nur Menschen. Um im Fall der Fälle abgesichert zu sein, sollte jeder Arzt eine Haftpflichtversicherung abschließen. Nehmen Sie einfach Kontakt zu uns auf und fordern Sie ein unverbindliches Angebot an.