Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem bemerkenswerten Fall die fristlose Kündigung eines Chefarztes, der wiederholt während Operationen private Telefongespräche mit seiner Ehefrau geführt hatte, für unwirksam erklärt. Nach Meinung der Bundesrichter hätte der Krankenhausträger das Verhalten des Mediziners, der Patienten mit offenen Wunden auf dem OP-Tisch liegen ließ, um z. B. telefonisch Termine mit dem Fliesenleger zu koordinieren, zunächst abmahnen müssen.
Abmahnung vor Kündigung – Dreister Chefarzt behält Job
Der Fall
Der Kläger ist Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie an einem katholischen Krankenhaus. Er nahm zu Operationen regelmäßig sein privates Handy mit in den Operationssaal und deponierte es dort auf dem Ablagetisch. Der Mediziner hatte das OP-Personal angewiesen, jeden Anruf entgegenzunehmen. Eingehende Telefonate wurden entsprechend angenommen und dem Chefarzt sodann das Handy überreicht. Teilweise telefonierte und operierte er gleichzeitig, indem ihm das Telefon ans Ohr gehalten wurde, teilweise unterbrach er die Operationen. Häufig handelte es sich bei den Anrufen um Privatgespräche mit der Ehefrau, in denen es beispielsweise darum ging „wichtige Termine“ mit dem Fliesenleger zu koordinieren. Die anrufbedingten Unterbrechungen erfolgten sowohl vor als auch nach dem Schnitt und dauerten mitunter Minuten. Die Patienten bemerkten die Telefonate infolge der Narkose nicht. Das OP-Team bezeichnete die Anrufe als äußerst störend. Die Bitte einer Anästhesistin, ein Telefonat zu unterlassen, ignorierte der Chefarzt schlichtweg. Nachdem der Krankenhausträger von den Privattelefonaten des Chefarztes im OP erfahren hatte, nahm er dies zum Anlass, dem Mediziner ohne vorherige Abmahnung fristlos, hilfsweise fristgerecht, zu kündigen. Private Telefonate mit Mobiltelefonen seien wegen möglicher Fehlfunktionen anderer technischer Geräte im gesamten Krankenhaus grundsätzlich untersagt. Nur für Notfälle gebe es spezielle Telefone. Trotzdem habe der Arzt mit seinem nicht sterilen Handy telefoniert und so auch Operationen mit offenen Wunden verzögert. Der Chefarzt erhob Kündigungsschutzklage. Aus seiner Sicht war der Ausspruch der Kündigung seitens der Krankenhausleitung ohne vorherige Abmahnung unverhältnismäßig und deshalb unwirksam.
Die Entscheidung
Die Bundesrichter gaben dem Mediziner Recht und erklärten die Kündigung für unverhältnismäßig und deshalb unwirksam. Das Verhalten des Arztes sei zwar als schwerwiegende Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten zu werten. Dennoch sei eine fristlose Kündigung in diesem besonderen Fall nach einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher in Betracht zu ziehender Interessen überzogen. Für den über 50-jährigen, verheirateten Chefarzt mit zwei Kindern spreche auch seine soziale Schutzbedürftigkeit. Anstelle einer fristlosen Kündigung hätte der Arbeitgeber zunächst eine Abmahnung aussprechen müssen (BAG, Urteil vom 25.10.2012, Az.: 2 AZR 495/11).
Fazit
Eine ordentliche Kündigung des Chefarztes war nicht möglich, weil diese Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsvertraglich ausgeschlossen war. Die Richter betonten in ihren ausführlichen Urteilsgründen, dass eine Abmahnung als erste Sanktion die Regel sei. Die sofortige fristlose Kündigung sei nur ausnahmsweise in besonders gravierenden Fällen wirksam, wenn eine Abmahnung entbehrlich sei. Im Fall des Chefarztes sei der Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten nicht massiv genug gewesen, um eine fristlose Entlassung zu rechtfertigen.
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