Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Patient vor einem ärztlichen Eingriff ordnungsgemäß aufgeklärt wurde, ist nicht allein der Inhalt eines vom Patienten unterzeichneten Aufklärungsbogens maßgebend, sondern vielmehr der Inhalt des persönlichen Aufklärungsgespräches zwischen Arzt und Patient. Das geht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm hervor.
Aufklärungsgespräch ist wichtiger als Aufklärungsbogen
Der Fall
Eine zum damaligen Zeitpunkt 62-jähriger Patientin suchte im Jahr 2010 wegen anhaltender Kniebeschwerden eine Klinik auf. Dort führten die behandelnden Ärzte eine Knieprothesenrevision durch, bei der eine gelockerte Schlittenprothese durch eine modulare Sonderprothese ersetzt wurde.
Wegen anhaltender Kniebeschwerden – nach eigener Darstellung ist sie heute dauerhaft auf Krücken oder einen Rollstuhl angewiesen – rügte die Patientin u. a. eine behandlungsfehlerhafte Verletzung ihres Oberschenkelnervs während der Revisionsoperation sowie ihre unzureichende Risikoaufklärung. Entgegen dem Inhalt der Aufklärungsbögen sei sie vor der Operation nicht über Risiken aufgeklärt worden. Sie forderte deshalb von den behandelnden Medizinern Schadenersatz, u .a. eine ab Mai 2013 zu zahlende Schmerzensgeldrente von monatlich 1.000 € sowie einen einmaligen Betrag in Höhe von 50.000 €.
Die Entscheidung
Das Gericht wies die Schadenersatzklage an, weil die Aufklärungsrüge nicht durchgreife. Dabei sei die Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung der Patientin nicht allein anhand des Aufklärungsbogens zu entscheiden. Vielmehr komme es auf den Inhalt des persönlichen Aufklärungsgespräches zwischen Arzt und Patient an. Dieser sei im Streitfall durch die Anhörung der Patientin und der beklagten Ärzte, durch die Zeugenvernehmung des Ehemanns der Patientin sowie durch die ergänzende Anhörung der medizinischen Sachverständigen ermittelt worden.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Patientin auch über das Risiko von Nervenschäden in der bevorstehenden Operation hinreichend aufgeklärt worden sei. Dies bestätigten die Angaben der beteiligten Ärzte. Die Darstellung der Patientin, mit ihr sei von Seiten der behandelnden Ärzte nie über Risiken der Wechseloperation gesprochen worden, sei nicht glaubhaft und erscheine lebensfremd, nachdem ihr erst im Vorjahr die Schlittenprothese implantiert worden sei. Mit dem Ergebnis dieser Operation sei sie nicht zufrieden gewesen, weil sie nach ihren Angaben kaum noch und nur unter Schmerzen habe laufen können (OLG Hamm, Urteil vom 09.11.2015, Az.: 3 U 68/15).
Fazit
Im Arzthaftungsprozess muss grundsätzlich der Patient dem Arzt einen Behandlungsfehler nachweisen. Anders verhält es sich mit der sogenannten Beweislastverteilung allerdings, wenn der Patient rügt, dass im Vorfeld eines Eingriffs keine ordnungsgemäße Aufklärung erfolgt sei. In diesem Fall muss der Arzt den Nachweis erbringen, dass er den Patienten ausreichend aufgeklärt hat. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, hat der Patient vielversprechende Erfolgsaussichten, im Verfahren zu obsiegen, sofern der erlittene gesundheitliche Schaden gerade auf der Behandlung beruht, die mangels ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswidrig war. Dies gilt auch dann, wenn ein Behandlungsfehler gar nicht vorlag, sich also z. B. nur ein typisches Risiko der Behandlung verwirklicht hat. Allein der Umstand, dass der Patient wegen fehlender oder mangelnder Aufklärung nicht wirksam in den Eingriff einwilligen konnte, begründet die Haftung des Arztes.
Anforderungen an ärztliche Aufklärung vor Eingriffen sind hoch
Den behandelnden Arzt trifft gegenüber dem Patienten eine Aufklärungspflicht. Die maßgebliche gesetzliche Bestimmung ist § 630e BGB. Die Rechtsprechung stellt erhebliche Anforderungen an die ärztliche Aufklärung. Inwieweit diese im Klinikalltag überhaupt umsetzbar sind, sei dahingestellt. Eine umfassende und vollständige Aufklärung des Patienten kann den behandelnden Arzt jedoch vor überraschenden und vermeidbaren Schadenersatzprozessen bewahren. Aufgrund der Beweislastverteilung sollten Ärzte einige Punkte beachten, um sich im Ernstfall erfolgreich gegen eine Aufklärungsrüge verteidigen zu können.
Praxis-Tipp
Jedes Aufklärungsgespräch sollte umfassend dokumentiert werden. Zu diesem Zweck gilt es, in den Behandlungsunterlagen stets den Tag der Aufklärung, den wesentliche Inhalt des Gespräches sowie die Einwilligung des Patienten zu vermerken. Vorgedruckte Aufklärungsbögen können dabei hilfreich sein, müssen aber immer durch handschriftliche Eintragungen des Arztes individualisiert werden.
Ein unterzeichneter Aufklärungsbogen gilt vor Gericht nicht als ausreichender Beweis dafür, dass der Patient ordnungsgemäß aufgeklärt wurde, sondern ist nur ein Indiz dafür, dass überhaupt ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat. Sofern es die Gegebenheiten im Krankenhaus zulassen, sollte die Aufklärung möglichst im Beisein einer weiteren Person stattfinden.
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