Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) in der Arztpraxis
Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen ist begrenzt. Insbesondere neue diagnostische und therapeutische Verfahren sind dort nicht immer verzeichnet. Um ihren Patienten dennoch die bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen, bieten immer mehr Ärztinnen und Ärzte medizinische Leistungen, die nicht im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen aufgeführt sind, als individuelle Gesundheitsleistungen an.
Dafür stehen sie nicht selten in der Kritik:
In der Presse ist immer wieder von fragwürdigen medizinischen Angeboten und vorrangig von wirtschaftlichen Motiven geleiteten Ärzten die Rede. Plattformen wie die Beschwerdeseite Igel-aerger.de, die von der Verbraucherzentrale ins Leben gerufen wurde, oder der IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes der Krankenkassen tragen dazu bei, dass der Nutzen individueller Gesundheitsleistungen immer wieder in Frage gestellt wird.
Bei der oftmals einseitigen Diskussion um die Berechtigung von IGeL-Leistungen werden aber häufig zwei wichtige Aspekte vergessen: Es muss bedacht werden, dass viele medizinische Leistungen, die früher nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wurden, also IGeL-Leistungen waren, heute selbstverständlicher Teil des Angebots der gesetzlichen Krankenkassen sind. Zu denken ist dabei z.B. an das Hautkrebs-Screening, das nicht nur dazu beiträgt Erkrankungen frühzeitig zu diagnostizieren, sondern zudem hohe Behandlungskosten vermeidet. Hätten Ärztinnen und Ärzte sich nur auf den Leistungskatalog der GKV beschränkt, dann wäre eine Vielzahl von frühzeitigen Diagnosen nicht erfolgt. Hinzu kommt, dass sich die Anspruchshaltung der Patienten verändert hat. Patienten erwarten von einer modernen Arztpraxis immer die neuesten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden angeboten zu bekommen. Schließlich geht es um ihre Gesundheit. Dafür sind sie auch bereit Geld auszugeben. Allein im letzten Jahr haben sich die Patientinnen und Patienten nach Schätzungen der Krankenkassen Leistungen, die über das Maß der sozialversicherten Leistungen hinausgehen, rund 1,3 Milliarden Euro kosten lassen.
Die Statistik ist eindeutig: Die Inanspruchnahme von IGeL-Leistungen in den Vertragsarztpraxen nimmt ständig zu. Ärztinnen und Ärzte, die eine Niederlassung planen, sind gut beraten sich frühzeitig mit dem Thema IGeL zu beschäftigen. Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen die Grundsätze vermitteln, die beim Angebot, der Durchführung und Liquidation von IGeL-Leistungen zu beachten sind.
Was sind Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL)?
Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) sind ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Diagnose- und Behandlungsmethoden, die nicht zum festgeschriebenen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehören. Dazu zählen insbesondere Leistungen, die nach der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses in den Richtlinien nach § 92 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen wurden, weil sie über eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Patientenversorgung hinausgehen (vgl. §§ 3 I BMV-Ä, 12 I SGB V).
Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) lassen sich – etwas vereinfacht dargestellt – in drei Bereiche unterteilen:
1) Leistungen, für die (noch) kein Nutzenbeleg vorliegt
Bevor die gesetzlichen Krankenkassen eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in ihrem Leistungskatalog aufnehmen, müssen sie wissenschaftlich untersucht, medizinisch positiv bewertet und zugelassen werden. Dies führt natürlich dazu, dass Patientinnen und Patienten innovative und vielversprechende ärztliche Leistungen nur im Rahmen von IGeL in Anspruch nehmen können.
2) Leistungen ohne medizinische Notwendigkeit
Bei den Leistungen ohne medizinische Notwendigkeit handelt es sich regelmäßig um medizinisch-kosmetische Leistungen, die auf Wunsch des Patienten erfolgen, sofern sie aus ärztlicher Sicht zumindest vertretbar sind. Insbesondere Schönheitsoperationen zählen dazu. Allein im letzten Jahr wurden in Deutschland mehr als 287.000 Schönheitsoperationen durchgeführt. Damit rangiert Deutschland weltweit auf Platz sechs. Dies zeigt eindrucksvoll wie groß der Wunsch der Patienten ist, die medizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen.
3) Ärztliche Leistungen außerhalb des Versorgungsumfangs der gesetzlichen Krankenkassen
Hierzu zählen insbesondere ärztliche Beratungen und Bescheinigungen rund um die Bereiche Freizeit, Urlaub und Sport. Zu denken ist dabei z.B. an sportmedizinische Untersuchungen, reisevorbereitende Impfungen und gutachterliche Bescheinigungen.
Wie können IGel-Leistungen angeboten werden?
Wie bereits erwähnt stehen IGeL-Leistungen häufig in der öffentlichen Kritik. Ärztinnen und Ärzte stehen damit vor einem Problem: Wie sollen sie ihre Patienten auf sinnvolle, privat zu zahlende Untersuchungs- und Behandlungsmethoden hinweisen? Schließlich wollen sie das bestehende Vertrauensverhältnis nicht gefährden. Auch möchten sie nicht den unzutreffenden Eindruck vermitteln, dass sie bei ihren Empfehlungen primär von wirtschaftlichen Interessen geleitet sind. Natürlich gibt es darauf keine allgemeingültige Antwort. Viel hängt von der individuellen Persönlichkeit des Arztes ab. Oftmals versuchen Vertragsärzte ihre Patienten auf sinnvolle Zusatzleistungen hinzuweisen, indem sie Plakate in der Praxis aufhängen, Flyer im Wartezimmer auslegen und auf ihrer Homepage auf IGeL-Angebote hinweisen. Solange dies unaufdringlich geschieht und marktschreierische und anpreisende Werbung vermieden wird, ist dagegen auch nichts einzuwenden.
Allerdings hat sich gezeigt, dass viele Patienten mit diesen Maßnahmen nicht erreicht werden. Erfolgreicher ist die Ansprache durch das Praxispersonal. Voraussetzung ist natürlich, dass die Praxismitarbeiter entsprechend geschult sind. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen lernen, wie und wann sie das Thema ansprechen können. Um rechtliche Probleme von Anfang an zu vermeiden, ist zudem eine juristische Belehrung des Personals unabdingbar. Die nicht ärztlichen Mitarbeiter müssen wissen, was sie dürfen und was nicht. Ihnen muss klar sein, dass eine Beratung zur Inanspruchnahme von IGeL-Leistungen nur von den ärztlichen Mitarbeitern durchgeführt werden darf. Da das persönliche Beratungsgespräch den Ärztinnen und Ärzten vorbehalten ist, liegt es an ihnen dieses mit Abstand erfolgreichste Instrument des IGeL-Marketing einzusetzen. Dabei gibt es einiges zu beachten.
Was sind die Grundsätze des IGeL-Beratungsgesprächs?
Das Fundament eines jeden ärztlichen Beratungsgesprächs findet sich in der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä). Dort sind die ethischen Maßstäbe definiert. Demnach ist es Ärzten untersagt diagnostische oder therapeutische Methoden unter missbräuchlicher Ausnutzung des Vertrauens, der Unwissenheit, der Leichtgläubigkeit oder der Hilflosigkeit von Patientinnen und Patienten anzuwenden. Unzulässig ist es auch, Heilerfolge, insbesondere bei nicht heilbaren Krankheiten, als gewiss zuzusichern. All das ist für Ärztinnen und Ärzte natürlich selbstverständlich.
Entscheidende Bedeutung haben darüber hinaus die ärztlichen Aufklärungspflichten. Dem Patienten muss erklärt werden, warum eine IGeL-Leistung erforderlich oder empfehlenswert ist. Damit der Patient eine fundierte Entscheidung treffen kann, muss ihm zudem dargelegt werden, ob der Nutzen der IGeL-Leistung wissenschaftlich belegt und ob mit unmittelbaren oder mittelbaren Nebenwirkungen zu rechnen ist. Ein möglicherweise daraus resultierendes Kostenrisiko ist aufzuzeigen. Sollte es Behandlungsalternativen geben, die von der GKV finanziert werden, so müssen diese dem Patienten vorgestellt werden. Natürlich muss der Arzt im Anschluss erläutern, warum aus seiner Sicht die für den Patienten kostenintensivere Selbstzahlerleistung vorzuziehen ist.
Ebenso wichtig wie die medizinische Informationspflicht ist die Darstellung der voraussichtlichen Gesamtkosten der anstehenden Maßnahme. Dabei ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass eine Übernahme durch die Krankenversicherung nicht erfolgt. Dies ist schon deshalb unerlässlich, um unnötige Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden.
Es versteht sich von selbst, dass der Patient nicht zu einer Entscheidung gedrängt werden darf. Ihm ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen. Sollte der Patient zu dem Schluss kommen, dass er die angebotene IGeL-Leistung in Anspruch nehmen möchte, dann muss vor Beginn der Maßnahme ein schriftlicher Behandlungsvertrag geschlossen werden.