Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz schnell erklärt
Am 11. Juni 2015 hat der Bundestag das „Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (kurz: Versorgungsstärkungsgesetz) verabschiedet. Dadurch wurde ein kontrovers diskutiertes Reformvorhaben für das Gesundheitswesen auf dem Weg gebracht, das wesentliche Veränderungen im Bereich der ambulanten Versorgung mit sich bringt.
Die wichtigsten Eckpunkte des Versorgungsstärkungsgesetzes für Vertragsärzte und Psychotherapeuten stellen wir Ihnen im Folgenden vor:
1) Zulassungsbeschränkungen (§103 Absatz 3a SGB V)
Planungsbereiche, in denen der rechnerischeVersorgungsbedarf um zehn Prozent überschritten wird, gelten als überversorgt. Wenn in einem überversorgten Gebiet die Zulassung eines Vertragsarztes durch Tod, Verzicht oder Entziehung endet, dann kann der Zulassungsausschuss, bis auf wenige Ausnahmen, es ablehnen ein Nachbesetzungsverfahren zu eröffnen (vgl. § 103 Absatz 3a SGB V). Aus Sicht des Gesetzgebers haben die Zulassungsausschüsse von dieser Möglichkeit zu wenig Gebrauch gemacht. Daher wird aus der bisherigen Kann- eine Soll-Regelung. In Zukunft sollen die Zulassungsausschüsse bei einer rechnerischen Überschreitung des Versorgungsbedarfs um 40 Prozent die Nachbesetzung eines Arztsitzes ablehnen und den Arztsitz kaufen, sofern keine berechtigten Versorgungsgründe dagegen sprechen oder Ausnahmeregelungen greifen. Ausnahmeregelungen gelten insbesondere für
– Familienmitglieder (Ehepartner, Lebenspartner, Kinder).
– angestellte ärztliche Kollegen und Partner in einer Gemeinschaftspraxis, sofern diese seit mindestens drei Jahren in der Praxis tätig sind.
– Ärzte, die sich verpflichten ihren Vertragsarztsitz in ein schlechter versorgtes Gebiet desselben Planungsbereichs zu verlegen.
-Ärzte, die zuvor für mindestens fünf Jahre in einem Gebiet tätig waren, das als unterversorgt eingestuft wurde.
Grundsätzlich gilt zudem, dass wenn ein besonderer lokaler oder qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf besteht oder ein Arztsitz einer speziellen Fachrichtung weiterhin benötigt wird, eine Nachbesetzung auch in überversorgten Gebieten weiterhin möglich sein soll. Somit bleibt die Entscheidung des Zulassungsausschusses in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung.
Die Neuregelung des § 103 SGB V macht deutlich, dass es in Zukunft immer wichtiger wird die Nachfolge langfristig zu planen. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine Praxis in einem gesperrten Gebiet durch einen Nachfolger weitergeführt werden kann.
2) Terminservicestellen (§75 SGB V)
Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen haben die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen. Das Versorgungsstärkungsgesetz stellt nun klar, dass dazu auch eine angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung gehört. Um diese zu gewährleisten sind die
Kassenärztlichen Vereinigungen angehalten innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes Terminservicestellen einzurichten. Terminservicestellen sollen Versicherten, bei Vorliegen einer Überweisung zu einem Facharzt, innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin vermitteln. Eine Ausnahmeregelung besteht für Augen- und Frauenärzte. Dort bedarf es der Überweisung nicht. In jedem Fall darf die Wartezeit auf den zu vermittelnden Behandlungstermin vier Wochen nicht überschreiten, sofern es sich nicht um
Bagatellerkrankungen und Routineuntersuchungen handelt. Die Entfernung zwischen Wohnort des Versicherten und dem vermittelten Facharzt muss zumutbar sein.
Wie genau die praktische Umsetzung des Gesetzes aussehen soll und welche zeitlichen und finanziellen Belastungen auf die Vertragsärzte zukommen, ist noch nicht abzusehen. Müssen die Fachärzte den Kassenärztlichen Vereinigungen in Zukunft freie Kapazitäten melden? Werden die Fachärzte verpflichtet Terminkontingente für die Terminvorgabe durch die Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung zu stellen? Fakt ist nur, dass sich die Vertragsärzte auf einen erhöhten bürokratischen Aufwand einstellen müssen. Die Terminservicestellen werden den niedergelassenen Ärzten letztendlich nicht nur Geld, sondern auch Zeit kosten, die bei der Patientenbehandlung fehlen wird.
3) Bedarfsplanung (§ 101 SGB V)
Die Bedarfsplanung wurde zuletzt in 2012 reformiert. Nun soll der Gemeinsame Bundesausschuss bis Ende 2016 eine erneute Überarbeitung der Bedarfsplanungs-Richtlinie vornehmen. Ziel ist es eine fundierte Entscheidungsgrundlage für eine den tatsächlichen Verhältnissen noch besser angepasste Bedarfsplanung zu erhalten. Um dies zu erreichen werden in Zukunft weitere Parameter, wie z.B. die Sozial- und Morbiditätsstruktur in die Planung einbezogen.
4) Praxisnetze (§ 87 b SGB V)
Für Praxisnetze, die von einer Kassenärztlichen Vereinigung anerkannt sind, müssen gesonderte Vergütungsregeln innerhalb der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung vorgesehen werden. Ergänzend ist es möglich, Praxisnetze mit Mitteln des Strukturfonds einer Kassenärztlichen Vereinigung zu fördern.
Hinweis: Konkrete Richtlinien für die Anerkennung von Praxisnetzen gibt es noch nicht. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind aber verpflichtet diese bis spätestens drei Monate nach Inkrafttreten zu beschließen.
5) Medizinische Versorgungszentren (§ 95 SGB V)
Die Regelungen für die Zulassung und den Betrieb von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) werden erweitert. Unter anderem können künftig auch arztgruppengleiche MVZ gegründet bzw. betrieben werden. Um aktiv in die Versorgung in der Region Einfluss zu nehmen und diese zu verbessern, haben Kommunen in Zukunft die Möglichkeit Medizinische Versorgungszentren als öffentlich-rechtliche Einrichtung (Kommunen-MVZ) zu führen. Bei der Nachbesetzung sind Kommunen-MVZ gegenüber ärztlichen Bewerbern aber nachrangig zu berücksichtigen.
6) Krankenhäuser in der ambulanten Versorgung (§ 116 a + b SGB V)
Wenn in einem Gebiet eine Unterversorgung herrscht oder ein lokaler Zusatzbedarf vorliegt, dann soll es Krankenhäusern erleichtert werden eine Zulassung zur ambulanten Versorgung zu erhalten. Inwieweit sich die Neuregelug auf die Wettbewerbssituation und –intensität auswirken wird, ist noch unklar.
7) Umsatzsteigerung beim Jobsharing (§ 101 SGB V)
Eine Grundvoraussetzung des Jobsharing ist, dass sich der Praxisinhaber bzw. die Berufsausübungsgemeinschaft dazu verpflichtet den Leistungsumfang der Praxis im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung nicht wesentlich zu erhöhen. Was dies im konkreten Einzelfall bedeutet wird durch den Zulassungsausschuss festgelegt.
Bisher erfolgte die Berechnung der maximal abrechenbaren Leistungsmenge (Obergrenze), indem – etwas vereinfacht – die Leistungserbringung des „Seniorpartners“ in den letzten vier Quartalen betrachtet und ein Aufschlag in Höhe von 3% des Fachgruppendurchschnitts hinzugefügt wurde. Dieses Vorgehen benachteiligte Praxen, deren Praxisumfang unterdurchschnittlich war. In Zukunft soll es stets möglich sein den Umsatz zumindest auf den Durchschnitt der jeweiligen Fachgruppe zu steigern.
8) Förderung der Weiterbildung (§ 75a SGB V)
Um die hausärztliche Versorgung langfristig sicherzustellen, verpflichtet der Gesetzgeber die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen dazu die allgemeinmedizinische Weiterbildung in den Praxen zugelassener Ärzte und zugelassener medizinischer Versorgungszentren intensiver zu fördern. Die Anzahl der zu fördernden Stellen soll dabei von 5.000 auf mindestens 7.500 steigen. Gleichzeitig wird die Förderung auf den Facharztbereich ausgedehnt. Es ist geplant, dass bundesweit bis zu 1.000 Stellen im Bereich der grundversorgenden Fachärzte gefördert werden.