Betriebswirtschaftliche Grundlagen – der Praxisstandort

Wenn die Entscheidung zur Niederlassung mit einer eigenen Praxis gefallen ist, dann muss zunächst festgelegt werden, in welchem geografischem Gebiet diese erfolgen soll. Dabei spielen die persönlichen Präferenzen des Arztes und seiner Familie, sowie ökonomische Kriterien eine Rolle.

Die persönlichen Präferenzen sind sehr individuell und oftmals für die finale Standortentscheidung von großer Bedeutung. So möchten einige Ärzte nur in einer bestimmten Region arbeiten, um ihren gewachsenen Bekannten- und Freundeskreis pflegen zu können. Andere wiederum wollen auf eine gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur und ein breit gefächertes kulturelles Angebot nicht verzichten. In jedem Fall orientieren sich die persönlichen Präferenzen an den Lebensgewohnheiten des Arztes und seiner Familie.

Im Gegensatz dazu sind die ökonomischen Kriterien quantitativ messbar. Dadurch sind neutrale Aussagen und Prognosen über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Niederlassung möglich. Ohne eine dezidierte Betrachtung der ökonomischen Situation, die in der Regel durch einenversierten Niederlassungsberater vorgenommen wird, sollte keine Standortentscheidung gefällt werden.

Thematisch umfasst eine fundierte Standortanalyse für eine Arztpraxis folgende drei Bereiche:

1) Bevölkerung

Die Analyse bevölkerungsbezogener Daten ermöglicht es die mittel- und langfristige Patientenstruktur abzuschätzen und somit den potentiell vorhandenen Patientenpool zu definieren. Wichtige Parameter sind dabei u.a. die Bevölkerungsdichte, das Pro-Kopf-Einkommen, die Altersstruktur sowie die Migrations- und Integrationsrate. Um aus den statistischen und oftmals aggregierten Daten die richtigen Aussagen ableiten zu können, müssen die einzelnen Werte jedoch angemessen interpretiert werden. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht:

Eine Kinderärztin möchte sich zwischen zwei Standorten für Ihre Niederlassung entscheiden. Sie weiss, dass die Bewohner des Standortes A über ein überdurchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen verfügen und der Anteil der privat versicherten überdurchschnittlich hoch ist. Das Durchschnittsalter liegt weit über dem Landesdurchschnitt und die Migrationsrate ist gering. Über den zweiten Standort B hat sie in Erfahrung gebracht, dass das Durchschnittsalter deutlich unter dem landesweiten Durchschnitt liegt. Das Durchschnittseinkommen ist eher unterdurchschnittlich, jedoch ist die Bevölkerungsdichte außergewöhnlich hoch.

Auf den ersten Blick scheint eine Entscheidung für den zweiten Standort B nahezuliegen. Schließlich liegt das Durchschnittsalter deutlich unter dem landesweiten Durchschnitt. Bei genauerer Betrachtung wird aber schnell klar, dass das Durchschnittsalter keinerlei Rückschluss auf die Altersstruktur zulässt. Gleiches gilt für die Bevölkerungsdichte. Insgesamt muss gesagt werden, dass mit den vorliegenden Informationen keinerlei Rückschluss auf die Zahl der potentiellen Kunden möglich ist. Für eine aussagekräftige Analyse bzgl. des Kundenpotentials müssen daher weitere Parameter gefunden werden.

2) Wettbewerb

Die Analyse der vorhandenen Versorgungssituation ist ein ganz entscheidender Faktor für die Abschätzung des wirtschaftlichen Erfolges einer Praxis. Dies gilt – entgegen der weitläufigen Meinung – nicht nur für „gesperrte“ Gebiete. Auch „offene“ Gebiete, also Gebiete, die nicht wegen Überversorgung gesperrt sind, müssen analysiert werden. Wichtige Parameter sind dabei u.a. das Leistungsspektrum und die Spezialisierung der Ärzte am Standort, die Zahl der nicht ärztlichen Praxen (z.B. Heilpraktiker), die Zahl der therapeutischen Einrichtungen und die Versorgungssituation mit Krankenhäusern.

3) Infrastruktur

Eine gute Infrastruktur bildet die Basis für jede erfolgreiche Niederlassung. Entsprechend umfassend sind ökonomisch f u n d i e r t e Infrastrukturanalysen. Für eine erste Einschätzung reicht jedoch eine pragmatische Betrachtung oftmals aus. So ist es in der Regel wichtig zu beachten, dass der zukünftige Praxisstandort gut an das Öffentliche Verkehrsnetz angebunden ist. Auch die Parkplatzsituation vor Ort hat einen großen Einfluss auf die Akzeptanz bei den Patienten. Sollten sich die Praxisräume nicht im Erdgeschoss befinden, dann muss die Erreichbarkeit insbesondere für ältere Patienten durch einen Fahrstuhl gewährleistet sein. All diese eher kleinen Punkte haben einen großen Einfluss auf die Erfolgsaussichten und sollten daher nicht unterschätzt werden. Wie man sieht, sind vielfältige Informationen notwendig, um eine ökonomische Standortanalyse durchzuführen. Doch woher kommen die Informationen für die Standortanalyse? Eine erste wichtige Informationsquelle stellt dabei der sogenannte Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung dar. Er enthält Informationen zur regionalen Versorgungssituation, zu den regionalen Grundlagen der Bedarfsplanung, sowie eine

Dokumentation der vertragsärztlichen Versorgung. Veröffentlicht wird der Bedarfsplan in den amtlichen Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung. Eine weitere wichtige Quelle ist das Statistische Bundesamt, welches viele Bevölkerungs- und Infrastrukturbezogene Daten liefert. Auch können die Stadt- und Gemeindeverwaltungen als wertvolle Informationsquelle dienen.

Praxishinweis: Viele Ärzte, die sich mit einer eigenen Praxis selbständig machen möchten, bevorzugen die Niederlassung in einem „gesperrten“ Gebiet. In der Regel wird dafür die Praxis eines Vorgängers übernommen. Da für diese Praxis bereits vielfältige betriebswirtschaftliche Kennzahlen vorliegen, wird regelmäßig auf eine Analyse des Praxisstandortes verzichtet. Doch hier ist Vorsicht geboten: die vorhandenen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen sind vergangenheitsorientiert und nur begrenzt aussagekräftig. Da es sich bei der Standortwahl um eine langfristige und gewichtige Entscheidung handelt, sollte auch bei einer Praxisübernahme eine Standortanalyse durchgeführt werden. Zu denken ist dabei insbesondere an die Analyse des Flächennutzungsplans. Schließlich muss vor der Übernahme geklärt werden, ob für die Praxis ökonomisch relevante Änderungen vor kurzem vorgenommen wurden oder in naher Zukunft anstehen.

Persönliche Standortkriterien für die eigene Arztpraxis:

  • Arbeitsmöglichkeiten für den Lebenspartner
  • Kultur- und Freizeitangebot
  • Qualität der sozialen Infrastruktur
  • Nähe zu Freunden und Bekannten
  • Einkaufsmöglichkeiten
  • Umweltqualität
  • Stadtbild / Innenstadtattraktivität
  • Schulen und andere Ausbildungseinrichtungen
  • Betreuungseinrichtungen für Kinder

 

Ökonomische Standortkriterien für die eigene Arztpraxis I: Wettbewerb

  • Leistungsspektrum der Ärzte am Standort
  • Ärztedichte in der Region
  • Altersstruktur der Mitbewerber im Gebiet
  • Anzahl der nicht ärztlichen Praxen (Heilpraktiker etc.)
  • Krankenhäuser

 

Ökonomische Standortkriterien für die eigene Arztpraxis II: Bevölkerung

  • Bevölkerungsdichte
  • Bevölkerungsentwicklung
  • Altersstruktur
  • Pro-Kopf-Einkommen
  • Haushaltsgrößen
  • Migrationsrate
  • Integrationsrate

 

Ökonomische Standortkriterien für die eigene Arztpraxis III: Infrastruktur

  • Öffentliche Verkehrsanbindung
  • Einzugsgebiet
  • Mietpreisniveau
  • Parkmöglichkeiten vor Ort
  • Lage
  • Arbeitskräfteangebot
  • Praxiszugang (Treppen, Aufzug)